Etwa acht Millionen Kinder auf diesem Planeten leben in Waisenhäusern und Kinderheimen. Der Knackpunkt dabei ist allerdings: Vier von fünf dieser Kinder haben durchaus einen lebenden Elternteil oder sonstige Verwandte. In Kambodscha etwa ist die Anzahl der Waisenhäuser im letzten Jahrzehnt um 75% gestiegen, während sich die Zahl der Waisen im Grunde verringert hat. Was hat das zu bedeuten?
Die meisten Kinder, die in Pflegeheimen leben – vor allem in Entwicklungsländern wie Kambodscha und Indonesien – sind keineswegs Waisen im eigentlichen Sinne. Oftmals sind es einfach nur Kinder aus ärmlichen Verhältnissen, die von ihren Eltern in der Hoffnung auf eine gute Ausbildung und ein besseres Leben in die nächste Stadt geschickt wurden. In den ländlichen Provinzen Nepals und Ugandas locken „Anwerber“ die Kinder unter dem Vorwand, sie in einem Internat unterzubringen, in die Städte, um sie dort mit gefälschten Papieren als „Waisen“ an die entsprechenden Einrichtungen zu verkaufen. Kinder sind in diesen Gegenden zu einer Ware geworden.
Und was hat der Tourismus damit zu tun?
Traurigerweise trägt der Tourismus maßgeblich zu diesem Teufelskreis aus Missbrauch und Kinderhandel bei. Der „Waisenhaus-Tourismus“ und das Modell der Freiwilligenarbeit im Ausland sind ein lukratives Geschäft geworden, und die Nachfrage wächst stetig. Immer mehr Kinder werden deshalb in heruntergekommene Einrichtungen gesteckt – unterversorgt, krank und ohne Spielzeug oder ordentliche Kleidung – um so das Mitleid ausländischer Besucher und Freiwilliger zu wecken und in bares Geld zu verwandeln. Ein Geschäftsmodell, das leider hervorragend funktioniert. Das Perfide daran ist die Tatsache, dass die Spender und Freiwilligen von diesen Vorgängen keine Ahnung haben und folglich glauben, den Kindern etwas Gutes zu tun.
Natürlich sind nicht alle Waisenhäuser korrupt! Einige leisten großartige Arbeit und bieten mittellosen Kindern einen sicheren Ort, um zu essen, zu schlafen und zu lernen. Und dennoch liegt ihnen allen ein institutionelles Problem zugrunde. Kinder, die in Pflegeheimen aufwachsen, entwickeln überdurchschnittlich oft Lern- und Entwicklungsschwächen sowie Bindungsängste, die aus der Instabilität und der fehlenden Aufmerksamkeit in ihrem Leben resultieren. Eine Studie geht gar davon aus, dass diese Kinder mit 500 mal größerer Wahrscheinlichkeit Suizid begehen und 50 mal so häufig in Kriminalität, Drogenabhängigkeit oder Prostitution abrutschen. Die Auswirkungen sind oft lebenslänglich oder sogar generationenübergreifend.
Und was heißt das nun?
Leider gibt es keine schnelle Lösung für dieses Problem, denn es wird immer Kinder geben, die auf Unterstützung angewiesen sind. Die Frage dabei ist nur: Wie kann man ihnen am wirkungsvollsten helfen? Hier kommt ReThink Orphanages ins Spiel. Dieses branchenübergreifende Netzwerk hat sich das Ziel gesetzt, die Instrumentalisierung von Kindern zu verhindern, indem ein Umdenkprozess im Hinblick auf Auslandshilfen, wirtschaftliche Entwicklung und Tourismus angestoßen wird. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dauerhaften Lösungen, die es allen Kindern ermöglichen, in einer behüteten Familie aufzuwachsen.
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, muss die Beurteilung von unterschiedlichen Betreuungseinrichtungen für Kinder unbedingt im Rahmen einer langfristigen Planung erfolgen. UNICEF definiert diese langfristige Planung als einen Prozess, der Kindern Stabilität, Kontinuität und das Gefühl von Familienzugehörigkeit vermittelt. Das bedeutet, die Trennung von Kindern und deren Eltern soll unbedingt vermieden oder – in Fällen, in denen dies bereits geschehen ist – die Wiederzusammenführung der Familie angestrebt werden. In jedem Fall sollen die Kinder einen Platz in einem stabilen Familiengefüge einnehmen. Dies kann etwa durch einen Verwandten geschehen, der das Sorgerecht erwirbt, durch einen Vormund oder auch durch Adoption. Kurzfristige Alternativen sind in diesem Prozess lediglich als Zwischenschritt hin zu einer dauerhaften Lösung vorgesehen. Für Kinder, die von ihren Eltern getrennt wurden, sollte daher immer eine familienbasierte Alternative angestrebt werden und nicht nur deren bloße Unterbringung und Versorgung.
Die große Armut in vielen Ländern stellt die Weltgemeinschaft im Hinblick auf das Wohlergehen aller Kinder vor eine enorme Herausforderung. Dennoch berechtigt uns diese Situation nicht dazu, Kinder willkürlich von ihren Familien und ihrer Heimat zu trennen. Stattdessen sollten wir unsere Kräfte in Projekte investieren, welche Armut, Gewalttätigkeit innerhalb von Familien sowie Sucht- und Drogenprobleme direkt an der Wurzel bekämpfen. Dazu gilt es, die Bildungseinrichtungen vor Ort zu verbessern, Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen und – am wichtigsten – Kinder wieder mit ihren Familien zusammenzuführen.
Was unternimmt Intrepid zur Lösung dieser Probleme?
Zunächst einmal tragen wir dieses wichtige Thema in die Welt hinaus. Auch wir hatten in der Vergangenheit einige Touren im Programm, welche den Besuch in Waisenhäusern beinhalteten. Wir haben uns allerdings dazu entschieden, diese Angebote endgültig einzustellen, und zwar aus Sorge über die Folgen dieser Praxis.
Mit der Intrepid Foundation fördern wir außerdem lokale Organisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika, die hilfsbedürftigen Kindern eine angemessene Gesundheitsversorgung, Beratung, Bildung und andere wichtige Formen der Unterstützung bieten. Da wäre zum Beispiel Blue Dragon in Vietnam. Diese NRO steht Kindern in schwierigen Situationen zur Seite, etwa bei einer Behinderung oder bei den Folgen von Menschenhandel und Sklaverei. Die Organisation bemüht sich, diese Kinder wieder mit ihren Familien zu vereinen und bietet dauerhafte Hilfe bei der Verarbeitung dieser traumatischen Erfahrungen sowie bei der Vorbereitung auf ein selbständiges Leben. Das Amani Children’s Home unterstützt auf vergleichbare Weise Kinder in Tansania.
Für die Zukunft müssen wir zuverlässige Strukturen schaffen, damit diese Organisationen und die Tourismusbranche auf die bestmögliche Art und Weise ihre Kräfte bündeln und so die Rechte von Kindern auf der ganzen Welt schützen können. In Kooperation mit ReThink Orphanages wollen wir bei Intrepid eng mit unseren Partnern zusammenarbeiten, um ihnen bei der Entwicklung geeigneter Programme und alternativer Formen der Betreuung helfen zu können.
Was kannst du tun?
Eine Menge! Du kannst uns dabei helfen, möglichst viele Menschen über die Probleme des Waisenhaus-Tourismus aufzuklären. Informiere dich und erfahre mehr darüber! Erzähle deinen Freunden davon! Teile diesen Blog! Vermeide den Besuch in Waisenhäusern, wenn du auf Reisen bist, und buche keine Touren, die derartige Angebote beinhalten. Es ist schwierig, die schwarzen Schafe von den seriösen Einrichtungen zu unterscheiden, aber eine erste Faustregel lautet: Wenn es zu direkter Interaktion mit den Kindern im Heim kommt, ist es wahrscheinlich eine Masche. Es werden dafür die unterschiedlichsten Namen verwendet: Waisenhaus, Kinderdorf, Kinderheim, Schutzunterkunft, Internat und viele mehr. Das bedeutet natürlich nicht, dass du auch allen anderen NROs und sozialen Projekten aus dem Weg gehen solltest. Achte nur darauf, dass du dabei unter Erwachsenen bist und dort ernsthaft etwas über nachhaltige und seriöse Hilfsinitiativen erfahren kannst – etwa über die Kunsthandwerks-Workshops von Seven Women in Nepal, um nur ein Beispiel zu nennen.
Wichtig ist außerdem: Wenn du Freiwilligenarbeit im Ausland leisten möchtest, informiere dich davor gut. Beobachte alles genau und frage dich dann selbst: Hilfst du mit deiner Arbeit tatsächlich jemandem? Wer profitiert letzten Endes von deinem Einsatz? Oft wird vergessen, dass man auch abseits der Freiwilligenarbeit viel Gutes tun kann. Etwa, indem man sich sozial verantwortungsbewusst verhält. Oder, indem man auf Reisen darauf achtet, dass vor allem die Einheimischen etwas vom Kuchen abbekommen. Auf diese Weise trägt man etwas zum Kampf gegen die Ursache der meisten Probleme, nämlich die Armut, bei. Gib dein Geld auf den Märkten und in den kleinen Läden vor Ort aus. Nutze den örtlichen Nahverkehr und kaufe hin und wieder Street Food. Übernachte in kleinen Gästehäusern, die von Einheimischen geführt werden.
Zu guter Letzt: Wenn du spenden möchtest, unterstütze vor allem Programme, die sich auf die gesellschaftliche Entwicklung und auf familienbasierte langfristige Fürsorgeeinrichtungen spezialisiert haben. Hilf Organisationen, die sich um Bildung, Gesundheit und Beratung der Kinder bemühen und diese, wann immer möglich, mit ihren Verwandten zusammenbringen.
Um die Intrepid Foundation und ihre Zusammenarbeit mit ReThink Orphanages zu unterstützen und die Weiterentwicklung der verschiedenen Programme zu fördern, klicke hier.
Übersetzt von Kai Wieland.